Gibt es einen Anspruch auf Herausgabe des Kinderreisepasses ?
Kindesentführungen durch den eigenen Elternteil sind kein Einzelfall mehr und treten in Deutschland mit steigender Tendenz und nicht selten nach einer Trennung der Eltern auf. Immerhin wurden 2018 allein in Deutschland 241 Rückführungsanträge für Kinder unter 16 Jahre gestellt. Oft kehrt der nichtberechtigte Vater oder die Mutter mit dem gemeinsamen Kind nicht mehr aus dem Urlaub zurück oder das Kind wird dauerhaft in das Heimatland des jeweiligen Elternteiles verbracht.
Auf europäischer Ebene wurden bereits u.a. durch das Haager Abkommen Anstrengungen unternommen, um einer sorge- und umgangsrechtverletzenden Verbringung ins Ausland entgegenzuwirken. Die dafür errichteten Behörden in den jeweiligen Staaten sorgen in vielen Fällen für die Rückkehr der entführten Kindes in seinen Ursprungsstaat.
Aber wäre es nicht einfacher und kostengünstiger, demjenigen Elternteil, der Gefahr läuft, das Kind zu entführen, den Reisepass des Kindes gar nicht erst auszuhändigen und somit die Möglichkeit einer Entführung von vornherein auszuschließen?
Diese Überlegung klingt zwar praktisch, bringt jedoch eine Reihe von Umsetzungs- und Rechtmäßigkeitsprobleme mit sich. Denn die Frage, ab wann jemand Gefahr läuft sein Kind ins Ausland zu entführen, kann angesichts der häufigen Unvorhersehbarkeit dieser Fälle kaum beantwortet werden. Zudem kann es im Alltag oft zu Schwierigkeiten und Probleme führen, wenn der Vater oder die Mutter, bei der oder dem das Kind lebt, nicht im Besitz des Reisepasses ist.
Wann muss der Reisepass generell herausgegeben werden?
Unter welchen Umständen kann ein Elternteil nach derzeitiger Rechtslage vom anderen verlangen, den Reisepass des gemeinsamen Kindes auf Dauer herauszugeben?
Mit dieser Frage hat sich der Bundesgerichtshof beschäftigt. Klägerin war eine aus Kamerun stammende Asylbewerberin, die vom Kindesvater die Herausgabe des Reisepasses verlangte. Das Familienrecht sieht für einen solchen Fall keine direkte rechtliche Regelung vor.
Ein entsprechender Herausgabeanspruch folgt nach Ausführungen des BGHs jedoch aus analoger Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB. Diese Normen stellen sicher, dass der berechtigte Elternteil Umgang und Personensoge ungestört und mit Rücksicht auf das Kindeswohl durchführen kann. Dazu zählt es, dem berechtigten Elternteil u.a. Schulsachen, Kleidung und erforderliche Dokumente des Kindes auszuhändigen. Insgesamt verpflichtet die analoge Anwendung der §§ 1632 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB beide Elternteile, jede Handlung zu Unterlassen, die das Zusammensein mit dem Kind erschwert.
Bleibt nur noch die Frage zu klären, ob die Vorenthaltung des Reisepasses zu einer derartigen Erschwerung führt. Davon kann jedenfalls ausgegangen werden, wenn der entsprechende Elternteil auf den Reisepass bei der Ausübung seiner Personensorge oder seines Umgangsrechtes angewiesen ist. Das hängt wiederum davon ab, ob das Kind bei dem Elternteil, der den Reisepass heraus verlangt, seinen sog. Lebensmittelpunkt, sprich seinen hauptsächlichen Aufenthaltsort hat.
Der sog. Obhutselternteil muss außerdem gem. § 1687 Abs. 1 S. 2 BGB grundsätzlich auch im Besitze aller wichtigen Papiere und Urkunden des Kindes sein. Obhutselternteil, ist der Elternteil, der sich um die hauptsächlichen Bedürfnisse des Kindes kümmert und vorwiegend die praktische Verantwortung für dessen Obdach, Nahrung und Kleidung übernimmt. Damit ist derjenige Elternteil, der sich hauptsächlich um das Kind kümmert auch berechtigt, vom anderen den Reisepass des Kindes herauszuverlangen.
Für diesen Fall bedeutet das also, dass der Mutter als Obhutselternteil das Zusammensein mit dem Kind nach §§ 1687 Abs. 1, 1684 Abs. 2 BGB analog nicht erschwert werden darf. Da der Lebensmittelpunkt des Kindes bei der Mutter ist, tritt eine solche Erschwerung ein, wenn der Vater wichtige Dokumente, wie etwa den Reisepass nicht herausgibt. Der Vater darf also im Normalfall die Herausgabe nicht verweigern.
Wann darf eine Herausgabe des Reisepasses verweigert werden?
Untergewissen Umständen darf die Herausgabe des Reisepasses allerdings rechtmäßiger weise unterbleiben.
Besteht ein berechtigter Grund zur Sorge, das Kind könnte dauerhaft und unter Überschreitung der elterlichen Befugnisse ins Ausland verbracht werden, darf der andere Elternteil den Kinderreisepass einbehalten. Dafür reicht es allerdings noch nicht aus, dass es sich bei der Mutter oder dem Vater um eine aus dem Ausland stammende Person handelt. Auch die Tatsache, dass diese Person eine enge Bindung zu seiner ursprünglichen Heimat hat, gibt keinen Anlass, von einer Entführungsgefahr auszugehen. Dies gilt insbesondere, wenn der betreffende Elternteil auf bestimmte Art und Weise im Inland verwurzelt ist – z.B. weil er sich momentan in einer Ausbildung befindet – und daher nicht damit gerechnet werden kann, dass er sich zusammen mit dem Kind in ein anderes Land begibt.
Der Verdacht einer Entführung ist hingegen begründet, wenn der jeweilige Elternteil konkret mit einer Entführung gedroht oder diese im Rahmen eines Streits in groben Zügen angekündigt hat. Ausreichend ist auch, dass bereits der Versuch einer Entführung stattgefunden hat.
Die Herausgabe kann damit nur dann verweigert werden, wenn objektive Anhaltspunkte auf eine mögliche Entführung deuten.
Welche Rechte stehen der Mutter oder dem Vater zu, wenn das Kind nicht bei ihr oder ihm lebt?
Wie ist die Situation andersherum, wenn also nicht derjenige den Reisepass verlangt, der sich vorwiegend um das Kind kümmert, sondern der andere gleichwohl umgangsberechtigte Elternteil? Man nehme an, der Vater beabsichtigt mit seinem Kind, dessen Lebensmittelpunkt bei der Mutter ist, eine Urlaubsreise zu unternehmen.
Die Urlaubsreise unterfällt in erster Linie der sog. „tatsächlichen Betreuung“ nach § 1687 Abs. 1 S. 4 BGB. Das bedeutet, dass derjenige Elternteil, der gerade mit seinem Kind im Rahmen des Umgangsrechts Zeit verbringt, auch über die Ausgestaltung und Bedingungen des Umgangs entscheidet.
Vater und Kind dürfen die Reise somit im umgangsrechtlich gewährten Zeitraum gemeinsam antreten. Lebt das Kind von Montag bis Donnerstag bei seiner Mutter und von Freitag bis Sonntag bei dem Vater, ist die Urlaubsreise am Wochenende also erlaubt. Etwas anderes gilt nur, wenn für das betreffende Land eine Reisewarnung existiert, sie eine Schulbeurlaubung oder einen besonderen Impfschutz erfordert. Denn dann wird die Reise als „Angelegenheit von erheblicher Bedeutung“ eingestuft und kann gem. § 1687 Abs. 1 S. 1 BGB nur im Einvernehmen beider Elternteile erfolgen. Werden die Eltern sich nicht einig, so legt das Gericht fest, ob der Mutter oder dem Vater die Entscheidungsbefugnis zukommen soll.
Ist die Reise unbedenklich und hält sie sich im Rahmen der Umgangsregelungen, kann sie angetreten werden, ohne dass es der Erlaubnis der Mutter bedarf. Die Mutter hat dann keine Möglichkeit den Urlaub zu verhindert und muss den Reisepass herausgeben.